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Kolumne

Ich bring dich hin. Ausnahmsweise, wie immer

In der Fabel von Lorenz Pauli beschäftigt das Thema Schulweg die Känguru-Mütter und ihre Kinder.

Das Känguru rief: «Mein kleiner Goldschatz, komm! Hüpf in meinen Beutel! Es ist Zeit, in die Schule gegangen zu werden.» Wie jeden Morgen sprang das Kängurukind in den warmen Beutel. Klar konnte es längst selbst hüpfen, klar war der Weg in die Schule nicht weit. Aber dank dem elterlichen Beuteltransport konnte man zehn Minuten länger schlafen.

Das Elternkänguru startete. Sie kamen am Bach vorbei. Das grosse Känguru dachte: Nur gut, dass mein Kleines da nicht hineinfallen kann. Ein bunter Vogel flog vorüber. Das grosse Känguru dachte: Mein Kleines sieht den Vogel zwar nicht. Aber ich werde ihm davon erzählen. In der Ferne brüllte ein Tier. Das grosse Känguru dachte: Nur gut, dass mein Kleines ein Beutel-Tier und nicht ein Beute-Tier ist.

Auf halber Strecke kam ihnen ein anderes Känguru entgegen. Sie blieben stehen. «Wohin des Weges, Frau Nachbarin?» (Ja, nur weibliche Kängurus haben einen Beutel.) Unser Känguru zeigte auf die körpereigene Brutpflege-Ausbuchtung. «Ich bringe mein Kind zur Schule. Die Sonne könnte heute stark scheinen. Oder es könnte regnen. Es ist sicherer, den Nachwuchs einzupacken. Und ich hätte sowieso in diese Richtung hüpfen müssen. Da kann man sein Kind auch gleich mitnehmen.»

Das andere Känguru nickte, gab aber zu bedenken: «Man sieht das ja nicht gern in der Schule. Die Selbstständigkeit der Jungtiere könne sich sonst nicht genügend entwickeln.»

«Ach, wissen Sie, Frau Nachbarin, ich erkläre meinem Kleinen ganz genau, wie das geht mit der Selbstständigkeit. Das ist viel lehrreicher. Und ich möchte nicht, dass mein Kind unterwegs mit anderen in Streit gerät oder schlimme Wörter lernt. Mein Kleines soll zwar auf neue Ideen kommen. Aber auf die richtigen. Entwicklung ist gut. Aber besser, ich bin dabei.»

Das andere Känguru nickte wieder (was das Elterntaxi-Känguru leicht zu nerven begann) und gab zu bedenken: «Ja, es braucht Vertrauen, wenn man das Jungtier einfach alleine ziehen lassen soll. Und der Abschied fällt beiden nicht leicht. Was weiss denn schon die Schule, was wirklich gut für den Nachwuchs ist. Und Ihnen geht es ja bestimmt auch um die Sicherheit.» Tatsächlich: Nun nickten beide im Takt.

Schliesslich fragte unser Känguru: «Und Sie, Frau Nachbarin, wohin hüpfen Sie?»

«Nun ja . . .» Das Känguru zögerte einen Moment. «Nun ja: Ich bin schon auf dem Nachhauseweg. Ich sorge mich wegen all den Eltern, die ihre Kinder im Beutel zur Schule bringen. Man könnte aus Versehen unter die vielen hüpfenden Beine geraten und sich verletzen. Daher bringe ich mein Kind eine Viertelstunde früher im Beutel zur Schule. Das ist sicherer.»

Unser Känguru nickte verständnisvoll und dachte: Das habe ich bisher ausser Acht gelassen. Ab morgen werde ich mich mit meinem kleinen Liebling also eine Viertelstunde früher auf den Weg machen. Oder vielleicht zwanzig Minuten?
 

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Lorenz Pauli

Zum Autor

Lorenz Pauli ist seit 2013 als freier Schriftsteller, Erzähler und – wie er sich selbst bezeichnet – Fantasie-Gärtner tätig. 25 Jahre lang arbeitete er als Kindergärtner und bildete sich auch in der Erwachsenenbildung fort. Seine Geschichten, Hörspiele und Liedertexte schreibt er für Kinder zwischen vier und elf Jahren und alle anderen, die sich daran erfreuen.


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Nicole Althaus ist Kolumnistin, Autorin und Chefredaktorin Magazine der NZZ. Sie hat zuvor den Mamablog für Tages­anzeiger.ch lanciert und das Familienmagazin «wir eltern» geleitet und neu positioniert. Nicole Althaus hat zwei ­Töchter im Teenageralter und lebt in der Nähe von Zürich.

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