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Stress, lass nach . . . Tipps für junge Lehrpersonen

Lehrpersonen sind in ihrem Beruf mit vielen Herausforderungen ­konfrontiert. Insbesondere frischgebackene Pädagogen laufen Gefahr, sich zu übernehmen. Arbeitsmediziner Claude Sidler gibt ­Ratschläge für eine gesunde Work-Life-Balance.

Zum Autor

Dr. med. Claude Sidler ist Hausarzt und Arbeitsmediziner. Er arbeitet in einer Gruppenpraxis in Brugg. Zu seinen ­Klienten zählen Privatpersonen und Unternehmen.

Was würde ich Lehrpersonen raten, die frisch vom Studium ins Schulzimmer schreiten, um ihre ersten Klassen zu unterrichten? Hat jemand eine Ausbildung abgeschlossen, so muss es aus meiner Sicht möglich sein, diesen Beruf zu 100 Prozent bis zur Pensionierung auszuüben, ohne dabei alle paar Jahre auszubrennen oder das Pensum dauernd reduzieren zu müssen, um einigermassen gesund zu bleiben. Das ist aber gar nicht mehr so einfach, insbesondere, wenn man engagiert an den Schulen etwas bewegen möchte und mit Herzblut vorangeht. Folgendes finde ich speziell herausfordernd am Lehrberuf:

  • Anspruchsvolle, vielschichtige Aufgaben mit heterogenen Schulklassen mit dem Ziel, eine Vielzahl von Kompetenzen zu vermitteln und alles Mögliche zu dokumentieren.
  • Viele Störfaktoren während des Unterrichts (Schüler, Raumgrösse, Temperatur, Luftqualität, Lärm).
  • Sehr viele Bezugspersonen («alle wollen etwas von mir»): einzelne Schülerin, Klasse als Ganzes, Eltern, Lehrerkollegium, Schulleitung, Therapeuten, Schulpsychologinnen, Gemeinde, Politik etc.
  • Fehlende Rückzugsmöglichkeiten während des Schultags (kaum Gelegenheiten oder Orte, an denen man ungestört arbeiten kann), dauerhaftes Ausgestelltsein, meist kleine, überfüllte, lärmige Lehrerzimmer.
  • Arbeit zuhause: keine Pausenglocke, kein Ausstempeln, niemand sagt, wann Schluss ist. Ist man diszipliniert und speditiv, ist Homeoffice ein Segen, ist man eher chaotisch und uferlos, ist es ein Fluch.
Wenn es mir nicht gut geht, kann ich auch nicht effizient und erfolgreich unterrichten.
Claude Sidler, Arbeitsmediziner

Gefahren und Ausgleich

Was macht Junglehrpersonen aus? Jung, dynamisch, motiviert, visionär, unverbraucht, um nur ein paar Schlagworte zu nennen. Das sind allesamt positive Eigenschaften. Wo lauern aber die Gefahren? Sie sind ohne Erfahrung, und dies in vieler Hinsicht. Wie viel Aufwand ist nötig/sinnvoll zum Vorbereiten, in der Elternarbeit? Wie belastbar bin ich wirklich? Was stresst mich besonders im Schulalltag, was lässt mich eher kalt? Bin ich eine gute Lehrerin, ein guter Lehrer? Wie stark darf ich mich abgrenzen gegenüber Eltern, Kollegen, Schulleitung? Dies führt oft zu sehr viel Aufwand, Einsatz und Engagement, mit der Tendenz, sich zu übernehmen und andere Lebensbereiche zu vernachlässigen. Aufgrund des jungen Alters (Quereinsteiger ausgenommen) sind die jungen Lehrpersonen meist zäh und widerstandsfähig, sodass sie durchhalten und oft sehr spät Hilfe zur Entlastung suchen. Wer ausbrennt, hat sich in der Regel lange und intensiv überfordert und sich und die eigenen Bedürfnisse bewusst oder unbewusst vernachlässigt.

Deshalb sind Ausgleich und Abgrenzung Schlüsselworte, um langfristig gesund und motiviert zu bleiben:

  • Abgrenzung: Eine gesunde Portion Eigensinn ist nötig. Wenn es mir nicht gut geht, kann ich auch nicht effizient und erfolgreich unterrichten. Dazu muss ich meine Batterien geladen halten. Im Alltag bedeutet das, auch mal Nein zu sagen und mich nicht in Perfektionismus und Details zu verstricken («good is good enough», 20/80-Regel etc.).
  • Ausgleich: Das Konzept der vier Zeiten ist sehr hilfreich (siehe Illustration). ­Werden ein oder mehrere Teile des Puzzles vernachlässigt oder gar gestrichen,
    fällt es über kurz oder lang auseinander. Das sehe ich immer und immer wieder bei Burnout-Patienten. Gelingt es, die ­Bereiche einigermassen ausgeglichen
    zu halten, hat man gute Karten, fit und leistungsfähig zu bleiben.

Tipps und Empfehlungen

Dies führt direkt zu folgenden Empfehlungen, Tipps, Regeln:

  1. Hobbys, Sport, soziale Kontakte sind ein MUSS und dürfen nicht gestrichen werden. Streicht man diese Aktivitäten, sägt man den Ast ab, auf dem man sitzt. Wer extrem leistungsfähig sein will, muss extrem viel Erholung, ­Entspannung, Regeneration einbauen.
  2. Wochenstunden aufschreiben: zwei, drei Mal pro Jahr eine Woche lang ­aufschreiben, wie viel Zeit man für die Schule sowie alle Nebenschauplätze
    wie Sitzungen, Besprechungen, Tele­fonate aufwendet.
  3. Regelmässiger Austausch mit alten ­Hasen. So kann die fehlende Erfahrung zum Teil wettgemacht werden. Fragen stellen wie zum Beispiel «Findest du, ich übertreibe mit dem Vorbereiten?», «Wie machst du das mit der Elternarbeit?», «Was machst du mit schwie­rigen Schülern/Eltern?», Material austauschen etc.
  4. Selbstcheck: Was bin ich für eine Persönlichkeit? Wo sind meine Schwächen? Was kann ich gut?
  5. Stressliste: mehrmals pro Jahr aufschreiben, was einen im Alltag besonders stresst, belastet, herausfordert. Dies mit dem Vorgesetzten oder einem alten Hasen besprechen. Jeder hat seine individuelle Liste an Stressursachen.
  6. Motivationsliste: Was macht mir Freude am Beruf, was hält mich bei der Stange, wieso habe ich den Beruf gewählt? Dies ist vor allem wichtig in Zeiten,
    in denen es grad nicht so lustig zu- und hergeht und die Motivation schwindet.

Zum Schluss der ultimative Tipp: Wenn zwei oder mehrere Personen Sie ansprechen, weil sie sich Sorgen um Ihre Gesundheit machen, weil Sie zu viel arbeiten, sich verändert haben und sich nie mehr verabreden, dann haben sie meistens Recht. Das bedeutet: die Aussagen ernst nehmen, über die Bücher gehen, Hilfe suchen und obige Checkliste beherzigen.


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