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Pro & Kontra

Matura für alle?

In seinem Buch «Matura für alle» fordert Gymnasiallehrer ­Andreas Pfister genau das: Alle Jugendlichen in der Schweiz ­sollen eine Maturität erwerben. Im unten stehenden Beitrag ­begründet er seinen Vorstoss. Therese Steffen Gerber vom Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation hält davon wenig: Sie will die bewährte Praxis weiterführen.

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Andreas Pfister, Gymnasiallehrer und Buchautor

Pro

Andreas Pfister, Gymnasiallehrer und Buchautor

«Alles paletti!», sagt der Bundesrat. So salopp formuliert er natürlich nicht, sondern so: «Das Schweizer Bildungssystem steht mit den aktuellen und den erwarteten Entwicklungen des Arbeitsmarkts im Einklang.»

Der Satz findet sich im «Bericht über die Auswirkungen der demografischen Entwicklung auf den Bildungsbereich», den der Bundesrat Ende Januar 2019 verabschiedet hat. Darin heisst es zum Beispiel: «Das künftige Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage wird auch davon abhängen, wie sich die Migration entwickelt und ob die Schweiz hochqualifizierte Personen für Bereiche mit hohem Bedarf anzuziehen vermag.» Mit anderen Worten: Die steigende Nachfrage nach Hochqualifizierten will der Bundesrat mit Akademikern aus dem Ausland decken. Davon, dass man den eigenen Nachwuchs für diese attraktiven Arbeitsplätze qualifizieren könnte, steht in dem Bericht nichts.


Alle Jugendlichen in der Schweiz sollen ­entweder eine Berufsmaturität, eine Fachmaturität oder eine gymnasiale Maturität erwerben.
Andreas Pfister, Gymnasiallehrer und Buchautor

Der Bericht des Bundesrats ist nur ein Beispiel dafür, was die Bildungspolitik derzeit verschläft. Dabei besteht dringender Handlungsbedarf: Die nachobligatorische Bildung muss endlich ausgebaut werden. Mein Vorschlag lautet deshalb: Matura für alle. Alle Jugendlichen in der Schweiz sollen entweder eine Berufsmaturität, eine Fachmaturität oder eine gymnasiale Maturität erwerben. Das ist eine Stärkung und Weiterentwicklung unseres Erfolgsmodells: der Berufslehre. Die Berufsmatura muss zum neuen Standard für alle werden.

Es braucht heute auch in der Lehre mehr schulische Bildung, um in unserer technisierten und digitalisierten Arbeitswelt mithalten zu können. Dazu braucht es aber die Pflicht, nämlich die Bildungspflicht. Bildungsferne Jugendliche nehmen sich sonst selbst aus dem Rennen. Sie meinen, Bildung nicht zu benötigen. Ein folgenschwerer Irrtum, denn mit fünfzig droht ihnen Arbeitslosigkeit. Diese Teenager, die Geissenpeter der Gegenwart, brauchen Fürsorge. Sie brauchen die Bildungspflicht durch den Staat – jetzt. Doch der stiehlt sich aus der Verantwortung. Statt auf den eigenen Nachwuchs setzt er auf ein anderes, billigeres Pferd: die Zuwanderer. Schon heute verfügt mehr als die Hälfte der Einwanderer über einen Tertiärabschluss. Sie sind damit deutlich besser gebildet als die Schweizer Bevölkerung. Bis 2037 rechnet der Bund mit 20 000 tertiär gebildeten Einwanderern pro Jahr, um hierzulande die anspruchsvollen Jobs zu erledigen. Die eigenen Jugendlichen hingegen werden wegselektioniert. Jemand müsse auch, findet Economiesuisse, mit den Hunden der Informatiker spazieren gehen. Wie lange noch duldet die Bevölkerung diesen Verrat an unseren Jungen?

Die steigenden Ansprüche, die Digitalisierung und der Strukturwandel werden sträflich unterschätzt. Der Schweiz fehlt es an Hochqualifizierten. Die Branchen sind bekannt: Gesundheitswesen und Informatik. Tatsächlich, räumt der Bericht ein, sei in der Informatik oder dem Gesundheitswesen der Anteil hochqualifizierter Migranten «relativ hoch». Allerdings, beschwichtigt er, seien das nur einzelne Bereiche.

Die Kernfrage, auf die der Bericht hinausläuft, lautet denn auch keineswegs, wie man das Bildungsniveau in der Schweiz generell anhebt und wie man die eigene Jugend fit macht für die Zukunft. Die Frage, über die unsere Landesväter und -mütter lieber sinnieren, lautet stattdessen, «wie gut es gelingt, für Bereiche mit besonders hohem Bedarf weiterhin hoch qualifizierte Personen in die Schweiz zu holen».

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Therese Steffen Gerber, Leiterin der Abteilung Bildungs­zusammenarbeit im Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation

Kontra

Therese Steffen Gerber, Leiterin der Abteilung Bildungs­zusammenarbeit im Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation

Was Andreas Pfister fordert, läuft auf das hinaus, was er in seinem Buch selbst mit dem Begriff der «Maturitätspflicht» umschreibt: Alle Jugendlichen in der Schweiz sollen künftig entweder eine gymnasiale Maturität, eine Berufs- oder eine Fachmaturität erlangen.

Richtig an Pfisters Feststellung ist, dass lange nicht alle Jugendlichen dies wollen: jene beispielsweise, die nach der obligatorischen Schule einen praxisorientierten Lehrabschluss mit einem Eidgenössischen Fähigkeitszeugnis oder einem Eidgenössischen Berufsattest anstreben. Gute Gründe für ihren Entscheid gibt es gleich mehrere, denn dieser Weg hat sich bewährt. Er ist nicht nur eng am Arbeitsmarkt ausgerichtet und ermöglicht es so Jugendlichen, früh über ein eigenes Einkommen zu verfügen und in der Welt der Arbeit schon in jungen Jahren Verantwortung zu tragen. Er eröffnet auch vielversprechende Perspektiven: Dank des heute durchlässig gestalteten Schweizer Bildungssystems stehen Berufsleuten – ihre entsprechende Motivation vorausgesetzt – nach der abgeschlossenen Lehre auch Ausbildungen auf der Tertiärstufe offen.

Es ist ja gerade mit ein grosses Verdienst der Berufs­bildung, dass sie eine im inter­nationalen Vergleich sehr tiefe Jugend­arbeitslosigkeit in der Schweiz zeitigt. Die duale Berufslehre bringt unsere Jugend­lichen quasi automatisch zum Job.
Therese Steffen Gerber, Leiterin der Abteilung Bildungs­zusammenarbeit im Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation

Nehmen wir das Beispiel der höheren Berufsbildung. Sie erlaubt es, qualitativ hochstehende fachspezifische Erfahrung, fundierte betriebliche Expertise und somit in der Praxis erworbenes Management-Know-how zu valorisieren und sich auch ohne Maturitätsabschluss für anspruchsvolle Fach- und Führungspositionen zu qualifizieren. Dieser Weg, der zu den spezifischen Stärken des Schweizer Bildungssystems zählt, würde durch eine allgemeine Maturitätspflicht generell an Attraktivität verlieren und somit als solcher infrage gestellt.

Hinzu kommt, dass sich die Aufwendungen für die Bildung durch eine verlängerte Schulzeit markant erhöhen würden. Wer aber finanziert das? Die öffentliche Hand, zulasten anderer Politikbereiche oder mittels Steuererhöhungen? Oder aber die Jungen selbst beziehungsweise ihre Eltern?

Sodann hätte die «Matura für alle» einen gegenüber heute viel späteren Eintritt sehr vieler junger Leute in die Arbeitswelt zur Folge. Das ist kaum wünschenswert in Zeiten eines Fachkräftemangels allenthalben (von sich leerenden AHV- und Pensionskassen ganz zu schweigen) und angesichts eines Arbeitsmarkts, der beste Perspektiven bietet. Denn es ist ja gerade mit ein grosses Verdienst der Berufsbildung, dass sie eine im internationalen Vergleich sehr tiefe Jugendarbeitslosigkeit in der Schweiz zeitigt. Die duale Berufslehre bringt unsere Jugendlichen quasi automatisch zum Job. Branchen und Betriebe, die ausbilden, tun dies, weil sie Nachwuchs benötigen für die Besetzung ihrer Arbeitsplätze. Es ist zumal dieses Faktum, das die uns zahlreich besuchenden Delegationen aus aller Welt immer wieder zum Erstaunen bringt.

Eine verlängerte Schulpflicht letztendlich mit der Konsequenz, dass die Maturität den Status eines Monopols für den Zugang zu höherer Bildung erhielte, würde die Chancengerechtigkeit in unserem Land aller Voraussicht nach nicht erhöhen, sondern im Gegenteil verringern. Zielführend ist vielmehr die Weiterführung der bewährten Praxis, passgenaue Massnahmen zum Ausgleich von sozial, wirtschaftlich, kulturell, migrations- und geschlechtsbedingten Benachteiligungen auf allen Bildungsstufen zu treffen. Notwendig bleibt überdies das Bereitstellen einer geeigneten Palette an Möglichkeiten, die es erlauben, Hochbegabungen frühzeitig zu erkennen und zu fördern.

Und nicht nur das. Wie Andreas Pfister vollkommen zu Recht festhält, dürfen wir uns nicht nur auf die Schwächsten und die sogenannten High Achievers fokussieren. Nicht vernachlässigt werden darf die Mitte, denn gerade auch sie trägt dank einer soliden Bildung zum Wohlstand der Schweiz bei.


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